BGH zu „Dieselgate“: Abschalteinrichtung stellt Sachmangel dar

Im September 2015 wurde bekannt, dass Volkswagen in mehreren Dieselmotoren eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung verwendet hat, um Abgasgrenzwerte auf dem Prüfstand nicht zu überschreiten. Was als „VW-Abgasaffäre“ begann, weitete sich in der Folgezeit zum sogenannten „Diesel-Skandal“ aus, in den immer mehr Fahrzeughersteller verwickelt waren und der bereits zu diversen Diesel-Fahrverboten führte.

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Betroffene Kunden standen vor der Frage, welche Rechte ihnen zustehen. Nun hat sich erstmals seit Bekanntwerden des „Diesel-Skandals“ der Bundesgerichtshof geäußert – jedenfalls zu den Rechten des Käufers gegenüber dem Verkäufer eines Dieselfahrzeugs, in das eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut war (BGH VIII ZR 255/17).

 

Kläger im konkreten Fall war der Eigentümer eines vom „Diesel-Skandal“ betroffenen VW Tiguan. Er hatte seinen VW-Händler auf Lieferung eines mangelfreien vergleichbaren Fahrzeuges verklagt. Seiner Auffassung nach sei das Fahrzeug durch den Einbau der illegalen Abschalteinrichtung mangelhaft. Der VW-Händler vertrat hingegen die Ansicht, die illegale Abschalteinrichtung stelle keinen Sachmangel dar. Diese Auffassung vertrat und vertritt Volkswagen in den letzten Jahren vehement.

 

Der Bundesgerichtshof hat in diesem Fall eine mündliche Verhandlung anberaumt aber bereits im Vorfeld, am 08.01.2019 einen Hinweisbeschluss (noch nicht veröffentlicht) erlassen. In diesem Beschluss hat der 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshof seine Rechtsauffassung geäußert (Link: Pressemitteilung vom 22.02.2019), wonach

„bei einem Fahrzeug, welches bei Übergabe an den Käufer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, vom Vorliegen eines Sachmangels auszugehen sein dürfte (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB), weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde besteht und es damit an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehlen dürfte.“

Im Weiteren hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass der betroffene VW-Händler die Neulieferung eines Fahrzeugs nicht deshalb verweigern kann, weil das entsprechende Fahrzeugmodell nicht mehr hergestellt wird. Die vertraglich übernommene Beschaffungspflicht wird nicht durch einen nachträglichen Modellwechsel oder geringe Änderungen des Modells ausgeschlossen. Damit ist der Verkäufer grundsätzlich verpflichtet, etwa ein Nachfolgemodell als Ersatz zu liefern. Nur ausnahmsweise kann der Verkäufer die Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs verweigern, nämlich wenn diese mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Dies ist bei der Lieferung eines Nachfolgemodells nicht der Fall.

Welche Auswirkungen hat dieser Hinweisbeschluss?

Unmittelbare Bindungswirkung für alle Deutschen Gerichte haben nur Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Aber auch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gelten allgemein als „richtungsweisend“.

 

Im konkreten Fall kam es allerdings nicht mehr zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs durch Urteil. Nach dem – deutlichen – Hinweisbeschluss hat der beklagte VW-Händler eine Einigung angestrebt und die Revision wurde vom Kläger zurückgenommen. Offensichtlich wollte VW ein Urteil des obersten Gerichts verhindern.

 

Der Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs dürfte allerdings weitreichende Auswirkungen auf andere noch laufende Rechtsstreitigkeiten im „Diesel-Skandal“ haben. Erstmals hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass illegale Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren als Sachmangel anzusehen sind.

 

Die Hinweise des Bundesgerichtshofs beziehen sich jedoch nur auf Gewährleistungsansprüche der Käufer gegenüber den Fahrzeughändlern. Gegenstand des Verfahrens VIII ZR 255/17 war ein kaufrechtlicher Fall. Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche verjähren in der Regel innerhalb von zwei Jahren ab Übergabe des Fahrzeugs, es sei denn der Käufer kann dem Händler nachweisen, dass das Vorhandensein des Mangels (illegale Abschalteinrichtung) arglistig durch ihn verschwiegen wurde. Insoweit sind die Hinweise des Bundesgerichtshofs für die betroffenen Käufer wohl eher als Wermutstropfen anzusehen. Ihre Gewährleistungsansprüche werden in den meisten Fällen bereits verjährt sein. Aus diesem Grund versuchen Betroffene ihre Ansprüche unmittelbar gegenüber der Volkswagen AG geltend zu machen. Dabei werfen Käufer dem Volkswagenkonzern in den meisten Fällen eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ vor. Die Erfolgsaussichten solcher Verfahren hängen derzeit maßgeblich davon ab, welches Gericht über den Rechtsstreit zu entscheiden hat. Die ergangene Rechtsprechung ist bisher uneinheitlich. Der Bundesgerichtshof hat sich bisher nicht zu der Frage positionieren können, ob Käufern eines betroffenen Fahrzeugs Ansprüche unmittelbar gegenüber Volkswagen als Hersteller der betroffenen Fahrzeuge zustehen. 

 

Abzuwarten bleibt, wie das Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ausgeht. Hier klagen betroffene Dieselfahrer unmittelbar gegen die Volkswagen AG. Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte zuletzt eine Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgericht Braunschweig als unbegründet zurückgewiesen. Die Kläger kündigten an, gegen das Urteil Revision einzulegen. Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich der Bundesgerichtshof auch zu der Frage einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“ äußern wird.